Thomas,
musste man Dich lange überreden, das Präsidium des Rotary Clubs St. Gallen zu
übernehmen?
Nach meiner «Pensionierung» als Stadtpräsident hatte ich
wieder Kapazität, um neue Aufgaben zu übernehmen. Sehr bewusst wollte ich keine
Engagements mit einem Bezug zur städtischen Politik eingehen. Da kam die
Anfrage für das Präsidium des Rotary Clubs St.Gallen genau zum richtigen
Zeitpunkt. Es brauchte also keine grossen Überredungskünste.
In
Deinem Präsidialjahr steuerst Du auf das Jubiläum 100 Jahre RC St. Gallen
zu. Einen anderen Schwerpunkt kannst Du so kaum setzen.
Ich freue mich, dass ich einen Teil meines Präsidialjahres
vor und während des Jubiläumsjahres leisten kann. Das 100-Jahr Jubiläum ist
natürlich ein echter Schwerpunkt in meiner Zeit. Als «Ur-St.Galler» war es mir
aber ein Anliegen, das Jubiläum in das St.Galler Umfeld einzufügen. Während
meiner Präsidialzeit schauen wir deshalb sehr bewusst auch in die Entwicklung
der Stadt in diesen 100 Jahren zurück. Insofern war es möglich einen
Schwerpunkt «Stadtentwicklung in den letzten 100-Jahren» zu setzen.
Gibt
es trotzdem ein Thema, das Du in Deinem Amtsjahr herausstreichen möchtest?
Wie in der vorangehenden Antwort aufgezeigt, geht es mir auch
darum, die Entwicklung unserer Stadt in den vergangenen 100 Jahren aufzuzeigen.
Zum anderen haben wir das Programm des Jubiläumsjahrs gemeinsam in einer
Arbeitsgruppe mit dem Incoming-Präsident erarbeitet. Wir möchten im
Jubiläumsjahr ermöglichen, dass sich einerseits die Clubmitglieder besser
kennenlernen und wir andererseits aber auch etwas über die anderen St.Galler Serviceclubs
wie Lions, Kiwanis usw. erfahren. Also «kennenlernen» ist ein wichtiges
Anliegen der beiden Präsidenten für das Jubiläumsjahr.
Kurz
nach Deinem Amtsjahr feiert unser Club sein 100-jähriges Bestehen. Wie muss
sich der Club entwickeln, dass er auch weitere Jubiläen feiern kann?
Wie heisst es so schön, im Zentrum steht der Mensch. Der
Rotary Club lebt von den Menschen, die sich im Club engagieren. Es muss uns
deshalb weiterhin gelingen, spannende Menschen verschiedenen Alters und aus
verschiedenen Berufen in unseren Club aufzunehmen. Für uns als grossen Club
bedeutet das aber nicht Wachstum per se, sondern Erneuerung.
Ein
Jubiläum ist immer Anlass, zurückzublicken, aber auch vorwärtszuschauen. Findest
Du selbst Rotary noch zeitgemäss?
Rotary braucht es in unserer Welt heute und morgen. Die
heutige Welt wird zunehmend zu einer Welt der Selbstverwirklichung. Jeder
schaut für sich und optimiert sein eigenes Wohlbefinden. Dass sich Menschen im
Rotary zusammenfinden, denen das Wohl der Gesellschaft am Herzen liegt, ist für
die Zukunft sehr wichtig. Der Rotary Grundsatz, der Gesellschaft zu dienen ist
und bleibt zentral. Was kann ich für die Gesellschaft tun und nicht, was kann die
Gesellschaft für mich tun, macht den Rotary Gedanken aktueller denn je.
An
Deinem ersten Lunch als Präsident hast Du anlässlich des Nationalfeiertags auf
den Gemeinsinn verwiesen, den die Schweiz mehr denn je brauche. Dann wäre
Rotary eigentlich eine gute Basis für die Eidgenossenschaft?
Für eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft
gehört der Gemeinsinn als Bereitschaft, sich für das Gemeinwohl einzusetzen zur
DNA. Die Bereitschaft sich zu engagieren, nimmt in unserer Gesellschaft laufend
ab. Rotary lebt den Gemeinsinn mit allen seine Engagements zu Gunsten der
Allgemeinheit. In diesem Sinne gehört er zur Basis der Eidgenossenschaft.
Interview: Philipp Landmark
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Der Ökonom Thomas Scheitlin (*1953) ist
Verwaltungsratspräsident der Olma Messen St.Gallen AG. Er war nach Tätigkeiten
in der Privatwirtschaft von 2001 bis 2006 Präsident der Ortsbürgergemeinde
St. Gallen und von 2007 bis 2020 Stadtpräsident von St. Gallen. Als Vertreter
der FDP gehörte er lange Jahre dem Kantonsrat an.